Landau liest ein Buch
- ein Buch wird zum Stadtgespräch -

PLATZ 5:
Mia Hauck, Eduard-Spranger-Gymnasium, MSS 12

zu: „Alles wird gut: Daran glaub ich einfach nicht!“ (Thomas Hettche: Herzfaden, S. 172)


Alles wird gut: Daran glaub ich einfach nicht!

Mal wieder sitze ich hier und weiß nicht, wohin mit mir. Meine Gedanken überfluten mich und ich weiß nicht, wie ich das alles noch durchstehen soll. Es gibt diese Tage, an denen könnte es nicht schöner sein, aber leider auch die, an denen alles sinnlos

scheint. Wir beide lieben uns und daran gibt es keinerlei Zweifel, aber kann unsere Liebe das alles durchstehen?
Wir sind zwei Frauen, 18 und 19 Jahre alt und unsterblich ineinander verliebt, doch leider ist es eine verbotene Liebe. Ihre Eltern sind russischer Herkunft und das Thema Homosexualität ist tabuisiert. Kann man wirklich glauben, dass Homosexualität heute noch, im 21. Jahrhundert, als Krankheit oder eine Sünde angesehen wird? Ja!
Wir sind alle Menschen und haben alle ein Recht auf Gleichberechtigung. Macht es mich zu einem schlechteren Menschen, nur weil ich eine Frau liebe anstatt einen Mann? Was ist so falsch daran? Wem tue ich damit weh? Diese Fragen stelle ich mir täglich und versuche zu verstehen, wieso ihre Eltern mich und vor allem die Homosexualität ihrer Tochter nicht akzeptieren. Das Wichtigste ist doch, dass sie glücklich ist.

Wir beide haben uns vor ungefähr vier Jahren kennengelernt. Wir waren beste Freunde und haben sehr viel Zeit miteinander verbracht, doch irgendwann merkte ich, dass ich sie sehr gerne mochte und dass sie vielleicht doch etwas mehr als nur eine beste Freundin war. Jedoch war mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst, dass ich auch eine Frau lieben könnte. Ich habe immer wieder versucht, das alles zu verdrängen und abzustellen, doch es ging einfach nicht, es zerstörte mich.
Ich sagte es ihr eines Tages mit dem Wissen, dass ich sie wahrscheinlich verlieren würde, aber hätte ich es nicht getan, dann hätte ich mich vermutlich selbst verloren. Sie reagierte abwehrend und erklärte mir, dass das nicht erlaubt sei und ihre Eltern das niemals tolerieren würden. Daraufhin brach sie den Kontakt mit mir ab und ich fiel in ein großes Loch, alles schien sinnlos.
Mit der Hilfe meiner Freunde habe ich mich zurückgekämpft und wurde wieder glücklich. Trotzdem habe ich noch oft an sie gedacht und mich gefragt wie es ihr wohl geht und ob sie die Dinge erreicht hat, die sie erreichen wollte. Ich habe oft überlegt ihr zu schreiben oder zu ihr zu fahren, aber habe mich einfach nie getraut. Ich habe nächtelang Texte verfasst und versucht, mich irgendwie für etwas zu rechtfertigen, wofür ich eigentlich nichts kann.

Eines Tages kamen wir wieder in Kontakt, wir schrieben einander und sie erzählte mir, was alles in ihrem Leben passiert sei. Ich war total überfordert und konnte es auch nicht wirklich realisieren, dass wir gerade wirklich miteinander kommunizierten. Sie erschien mir wie ein anderer Mensch. Ja, wir waren älter und hatten uns beide verändert. Dass ich mich damals in sie verliebt hatte, war so etwas wie ein Tabuthema und wir sprachen nie darüber, obwohl es mir sehr auf dem Herzen lag. Ich hatte mich langsam mit der Situation abgefunden.
Wir hatten nun immer mal wieder Kontakt und trafen uns auch hin und wieder.
Irgendwann wurde es mehr, wir gingen zusammen auf Partys, verbrachten jede Minute miteinander und verstanden uns einfach blind. Nie wurde darüber gesprochen, was passiert war und was wir jetzt für einander waren, wir genossen die Zeit zusammen und lebten im Hier und Jetzt.
Mit der Zeit merkte ich, dass ich sie noch immer und immer mehr mochte, und mir wurde bewusst, was ich vor vier Jahren an ihr gefunden hatte, aber auch, dass ich mir diese Gefühle nicht eingebildet hatte, sondern dass sie echt waren. Dennoch kam es für mich nie in Frage, ihr zu sagen, was ich für sie empfand, denn ich wusste, ich würde sie wieder verlieren und das könnte ich nicht noch einmal verkraften.
Eines Abends waren wir zusammen feiern und ich hatte gut getrunken. Der Alkohol sagte mir, dass ich mich ihr öffnen sollte, und es fühlte sich richtig an. Wir fuhren nach Hause und ich fing an zu weinen. Sie fragte mich, was los sei und machte sich Sorgen. Ich wollte einfach nicht mit der Sprache rausrücken und dachte mir einiges aus, was sie nicht glauben wollte. Sie redete immer wieder auf mich ein, bis
ich es schließlich sagte. Ich meinte zu ihr, dass alles nur einseitig sei und ich sie nicht noch einmal verlieren möchte. Sie schaute mich an und sagte: „Woher willst du wissen, dass es nur einseitig ist?“ Ich war sprachlos und mir rutschte das Herz in die Hose. Mir wurde schlecht und ich fühlte etwas, was ich noch nie zuvor gefühlt hatte. In diesem Moment glaubte ich daran, dass doch alles gut werden kann.
Wir redeten bis in die Nacht hinein, ich gestand ihr meine Gefühle und sie mir ihre. Es war der schönste Moment in meinem Leben und ich wusste nicht, wohin mit meiner Freude. Ich hätte es am liebsten der ganzen Welt erzählt, doch leider gab es noch dieses eine Problem. Es stand fest, dass wir uns liebten und dass es wie auch schon vor vier Jahren mehr als nur eine Freundschaft war. Wir waren überglücklich, doch gleichzeitig auch verzweifelt. Wir wussten, ihre Familie würde das niemals akzeptieren, geschweige denn unterstützen, doch wir liebten uns und das ließ sich nicht mehr abstellen.
Tage vergingen, wir verbrachten viel Zeit miteinander, doch wir wussten nicht, was das jetzt eigentlich zwischen uns war. Keiner von uns wollte fragen oder irgendetwas aussprechen, aber insgeheim war klar, dass wir jetzt Freundin und Freundin waren. Das Problem mit ihrer Familie war noch immer ein heikles Thema und es wurde nicht viel darüber gesprochen. Wir trafen uns heimlich und in der Öffentlichkeit waren wir Freunde. Sie blockte dann jede Annäherung ab, denn es konnte uns ja jemand sehen. Es tat weh und ich wusste nicht so ganz, wie ich damit umgehen sollte. Ich machte mir immer wieder Gedanken darüber, wie das wohl in der Zukunft ablaufen sollte, ich zweifelte oft und dachte, es sei vielleicht doch besser, wenn wir getrennte Wege gingen, denn niemals würden ihre Eltern uns akzeptieren.
Es waren schwere Tage, aber auch einfach Tage, an denen ich hoffte, dass sie niemals enden würden. Sie löste in mir Tag für Tag etwas aus, was ich nicht beschreiben kann. Sie zeigte mir, dass ich ein guter Mensch bin und so perfekt bin, wie ich bin. Ich wusste einfach, dass sie die Richtige ist. Es würde hart werden und wir würden kämpfen müssen, aber zusammen könnten wir das schaffen.
Es kam dieser eine Tag, sie fühlte sich bereit und war fest entschlossen, es ihrer Mutter zu erzählen. Ich war unsicher, ob es das Richtige war, aber ich unterstützte sie bei ihrer Entscheidung und stand ihr bei. In diesem Moment war uns jedoch nicht bewusst, was das Ganze für ein Ausmaß haben würde.
Sie erzählte ihrer Mutter alles und diese sagte daraufhin erst einmal nichts. Wir sahen das als eine „gute“ Reaktion und dachten, alles würde gut werden, doch was dann am Tag danach anfing, damit hatte keiner von uns gerechnet. Ihre Mutter machte sie fertig, beleidigte sie und hörte nicht mehr auf. Es ging Wochen, Monate lang. Sie tyrannisierte uns und warf uns alles Mögliche vor. Laut ihr würden wir keine
Zukunft haben, wir würden nichts erreichen und immer nur als die „Lesben“ abgestempelt werden. Ihre Tochter sei „krank“ und plötzlich ein ganz anderer Mensch. Sie sah uns von nun an als kranke und unnormale Menschen. Unsere Beziehung litt darunter und Streit war mittlerweile Alltag.
Es waren schwere Zeiten und wir hinterfragten oft die Dinge.
Doch wir haben uns für dieses Leben entschieden, und was wir damals noch nicht wussten: Es hat sich gelohnt.
Alles wird gut, daran glaubten wir vielleicht damals noch nicht, aber zusammen waren wir das stärkste Team und keiner konnte uns mehr trennen. Wir gaben uns Halt und kämpften für einander, bis heute.

Heute sind wir 25 & 26 Jahre alt, haben zwei gemeinsame Kinder, unser eigenes Haus und ich darf sie sogar meine Frau nennen. Ihre Familie ist mittlerweile Teil unseres Lebens. Sie unterstützen uns und unsere Kinder haben tolle Großeltern. Wir sind glücklich und haben verziehen. Manchmal steckt hinter allem Schlechten doch etwas Gutes. Das Kämpfen hat sich gelohnt und ich bereue keine einzelne Sekunde mit ihr. Niemand hätte gedacht, dass es ein paar Jahre später so sein wird.
Alles wird gut: Daran habe ich immer geglaubt!